Ein Bericht zum Schul- und Fachleiter-Workshop der GIZ-Expertengruppe „Berufsbildung“ in Hangzhou, China, im Juni 2011
Im Süden Chinas direkt hinter Schanghai befindet sich das Paradies. Exotische Pflanzen, mystische Geschichten um Macht und Liebe und traumhafte Gärten nach dem Harmonieprinzip YingYang. Sagen um eine endlose Geschichte vom Kampf des Guten gegen das Böse (mit wechselseitigem Erfolg) in traumhafter Umgebung.
Die Stadt am „West Lake“ heißt Hangzhou und besitzt drei mal so viele Einwohner wie Thüringen, seine Silhouette prägen Hochhäuser, so dicht und schlank wie Spargelstangen, breite Straßen, die es an Gefährlichkeit mit jeder Computersimulation aufnehmen können und natürlich traditionelle chinesische Bauten. Die Stadt ist geprägt durch ein farbenprächtiges Grün, dass es in Deutschland nur in Orangerien gibt.
Im Juni 2011 entwickelten und übten in Hangzhou ein sechsköpfiges Team um Dieter Ziems und Katrin Schulz gemeinsam mit 250 schulischen Führungskräften aus der Provinz Zhejiang Methoden um die Reform der chinesischen Berufsausbildung zu unterstützen.
Bisher leiden Berufsschulen in China unter zu viel Theorie und wenig betrieblicher Verwertbarkeit der Abschlussqualifikationen.
Um weiter wachsen können braucht China genau wie Deutschland qualifizierte Fachkräfte im mittleren Bereich.
Schon um die gegenwärtige Produktivität nur zu halten, sind Millionen von Menschen mit Bildungsabschlüssen auf dem Niveau von Meistern oder Technikern nötig.
Im Moment können chinesische Produkte noch mit einfachen Produktionsverfahren und durchschnittlicher Qualität auf dem Weltmarkt einen Preisvorteil erzielen. Es klafft allerdings eine Riesenlücke im mittleren Bereich.
In der durch Ein-Kind-Ehen geprägten chinesischen Gesellschaft konditionieren Eltern ihre Kinder zu akademischen Abschlüssen. Wer die Aufnahmeprüfung zur Hochschule nicht schafft, gerät schnell in den Verdacht ein Verlierer zu sein. In Zukunft reichen einfache und höhere Qualifikationen nicht mehr aus. Der mittlere Bereich soll zum Rückgrat der Industrie ausgebaut werden; auch um den Technologievorsprung zu den Industrieländern weiter zu verkürzen.
Als Instrument der Wahl dient die Reform der Berufsbildung mit den Elementen Fort- und Weiterbildung nach deutschem Vorbild. Von ihr verspricht sich China die vorhandenen Reserven zu mobilisieren und weitere Entwicklungsschritte machen zu können. Die deutsche Meisterqualifikation soll helfen technologische Komplexität, intelligente Produkte und hochwertige Dienstleistungen zu erzeugen.
Das einladende College aus Hangzhou mit ca. 7000 Studierenden soll die Führung in der Weiterbildung übernehmen und berufliche Lehrkräfte qualifizieren, die sich mehr an der Unternehmenspraxis orientieren. Wie ernst es der Provinzregierung damit ist, zeigt sich im zusätzlichen Investitionsaufwand von unglaublichen 40 Millionen Euro in den nächsten 4 Jahren.
Neben dem Aufbau moderner schulischer Infrastruktur wird vor allem in die Köpfe der Lehrkräfte investiert. Bei der Arbeit mit den chinesischen Berufskollegen spürte man die Aufbruchstimmung und den Enthusiasmus handlungsaktive Methoden auszuprobieren und im chinesischen Unterricht, der durch das konfuzianische Vorbild des Auswendiglernens geprägt ist, einzusetzen.
Der größte Unterschied zeigt sich aber in der Zusammenarbeit mit den Unternehmen. Während in Deutschland Praxiserfahrung Bestandteil der Ausbildung ist, zeigen chinesische Unternehmen kaum Interesse daran Lehrlinge einzustellen. Weil die Betriebe noch auf sofortige wirtschaftliche Effekte ausgerichtet sind, ist es sogar schwierig Praktikumsplätze zu finden. Außerdem haben viele gegenwärtige Schüler wenig Motivation zur beruflichen Ausbildung. Entweder haben die Eltern die Studienrichtung bestimmt oder sie sehen für sich kaum Möglichkeiten zur Berufsausübung in dem jeweiligen Sektor. So kann es passieren, dass noch während oder sofort nach dem Studium die Fachrichtung gewechselt wird.
Bei dem Vorhaben das Ausbildungssystem leistungsfähiger zu machen, greift die chinesische Schulverwaltung gern auf deutsche Erfahrungen zurück. Mit dem Synonym „Made in Germany“ verbinden viele Chinesen den Traum vom komfortablen Qualitätsauto mit allen seinen Vorzügen. Besonderes Interesse besteht darin herauszufinden, wo die Innovationskraft deutscher Unternehmen herkommt. Immerhin besteht der Unterschied darin, das China zwar 16 mal so viel Einwohner hat wie Deutschland, die Produktivität allerdings statistisch nur bei 12 Prozent liegt.
Von den deutschen Experten erwartet man sich Impulse und Referenzen zu handlungsorientierten Unterrichtsmethoden. Großes Interesse besteht auch an Qualitätsmerkmalen zur Evaluation der Unterrichtswirksamkeit. Prof. Ziems und sein Team konnten mit vielen Referenzen Begeisterung entfachen.
Überrascht sind die chinesischen Führungskräfte von der freundlich-zielstrebigen Art der deutschen Expertengruppe. Nicht Kritik an den Ergebnissen, sondern konstruktives Lob am
Lernprozess, das wollen sie auch in ihren Unterricht integrieren. Auch die Sichtweise den Schulabschluss nicht als Ende des Bildungsprozesses zu betrachten, sondern als Anschluss zum lebenslangen Lernprozess gemäß des deutschen Fußballtrainerprinzips „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ erscheint den schulischen Führungskräften nun als sehr plausibel.
Der „West Lake“ ist für China ein traditioneller Ort zum Entspannen, Träumen und zum Ausgleich der Kräfte. Hangzhou war neben Peking ein wichtiges wirtschaftliches Zentrum und auch schon Hauptstadt. Vielleicht entwickelt es sich nun zum Motor einer modernen Berufsausbildung.