von Sebastian Stützer – In dieser jetzigen schnelllebigen Welt, in der man öfter an seinen Bildungsabschlüssen als an den individuellen Fähigkeiten bewertet wird, ist es besonders wichtig eine nachhaltige Arbeitsoberfläche zu schaffen.
Deutschland ist ein sehr prägnantes Beispiel für die Notwendigkeit von zugeschnittenen „erwachsenen gerechten Lernmethoden“. Der politische Systemwechsel, die Vernetzung, bzw. Globalisierung und die fortschreitende technologische Weiterentwicklung sind wesentliche Indikatoren für die zunehmende Arbeitsplatz-Entwertung. Die resultierenden Handlungen der betroffenen Bevölkerungsgruppen liegen oftmals in der Weiterbildung bzw. Umschulung.
Schaffung eines Erkenntnis-Fundaments
Erwachsene Lernende sind lernfähig, jedoch unbelehrbar. (Christoph Röckelein)
Man unterscheidet nach Kant zwei Arten von Erkenntnissen. Zum einen die Erkenntnis der Sinneswelt (empirisch), welche auf Erfahrungen beruht, und zum anderen die Erkenntnis der Vernunft, der intelligiblen Welt. Diese beruht auf logische Schlussfolgerungen und hat mit der Erfahrung nichts zu tun.
Das daraus entstehende Problem (mit dem sich der Konstruktivismus beschäftigt) der Sinneswelt- Erkenntnis liegt in unseren Sinnen selbst. Sie können trügerisch sein! Die Gültigkeit ist nicht leicht überprüfbar. Was wir meist als „objektive“ Wirklichkeit betrachten, entsteht in der Regel dadurch, dass unser eigenes Erleben von anderen bestätigt wird. Dinge, die nicht nur von uns, sondern auch von anderen wahrgenommen werden, gelten ganz allgemein in der Alltagswelt wie auch in der Epistemologie. Denn es werden ja Erfahrungen nur mit Erfahrungen verglichen.
D.h. die Empirie liefert keine Wahrheiten: „Es ist offenbar dass, wenn man sich ein denkendes Wesen vorstellen will, man sich selbst an seine Stelle setzen und also dem Objekte, welches man erwägen wollte, sein eigenes Subjekt unterschieben müsse…“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1. Auflage, 1781, Akademie Textausgabe, Band 4, S.223).
Ein praktisches Beispiel hierfür bietet die These vom blinden Wanderer, welcher durch den Wald läuft. Er erstellt sich eine Schablone, welche auf die Welt passt (zumindest auf den Teil, den er kennt). Da er nichts sieht, sind seine anderen Sinne umso stärker gefragt und so baut er sich ein Konstrukt aus Wegen, welche ihn durch den Wald führen. Dieses Wissen jedoch kommt nicht durch die Welt, d.h. er hat es nicht in die Wiege gelegt bekommen. Vielmehr durch Ausschluss- und Probe- verfahren erarbeitete er sich dieses Wissen. Unser aller Wissen beschränkt sich auf die für uns wichtigen Informationen „…man sieht nur das, was man sehen will.“ (Förster, Glaserfeld, Hejl, Schmidt; Einführung in den Konstruktivismus, Piper, 2003, S. 20 ff.)
Kognitive Gerüste
Bei einem Konstrukt handelt es sich um ein kognitives Gerüst, das die Informationsverarbeitung unterstützt. In jedes Menschen Kopf befinden sich tausende kognitive Konstrukte. Wissen wird erfasst, Erfahrungen werden erlebt, und Schlussfolgerungen werden getroffen.
Paul hat keine Ahnung, was ein Konstrukt ist
Alex erzählt und erläutert Paul den Konstruktivismus
Paul hat danach immer noch keine größere Ahnung vom Konstruktivismus,
jedoch hat Paul nun eine Vorstellung von Alex‘ Vorstellung von Konstrukten.
Auswirkungen auf den Lernprozess
Wir können davon ausgehen dass diese Konstruktionen in die Welt passen. Jedoch, nur durch empirische Schlüsse können wir nicht genau über wahr und falsch urteilen. Wer es schafft ein Stück weit offen zu sein, für diverse andere Konstruktionen, welche auch „lebensfähig“ sind,…also wer das ganze Kunstwerk betrachtet,…über seinen Tellerrand hinaus blickt, wird an Objektivität gewinnen.“ (Horst Siebert, Theorien für die Praxis, Bertelsmann, 2. Auflage. 01.2006, S. 91 ff.)
Überlebensfähig heißt in diesen Falle: läuft der blinde Wanderer vor einen Baum,…oder nicht. Ist dieser Weg durch den Wald, dieses Konstrukt „viabel“, also Überlebensfähig? Wer es schafft über seinen Tellerrand hinweg zu blicken und sich bewusst wird, dass andere Erfahrungen genauso erlebt und deren Erkenntnis genauso entstanden sind, wie die eigenen erlangt Objektivität. Zu ihr gelangt man nur im Dialog, nicht allein im Monolog. Im „Gespräch“ konstruiert man das Konstrukt des gegenübers. (Jean Piaget, La construction du réel chez l`enfant, Neuchâtel, 1937)
Praktische Anwendungen in der Didaktik
Diverse Lehr – Lern Methoden sind bekannt und im Einsatz. Art, und situationsspezifisch zugeschnitten können sie so manchen „Knoten zum platzen bringen“.
Erwähnen möchte ich hier:
- kognitive Landkarten (mind maps), welche auf unsere Begriffs, – und Wissensnetze verweisen
- Arrangements situierter Kognition. Sie integrieren Lernprozesse in konkreten Verwendungssituationen bzw. Anwendungen
- Guided Autobiography. Dies sind themenbezogene biografische Erzählungen
- Theaterpädagogik als Simulation, typisches Beispiel hierfür ist das Planspiel
- Seitenwechsel, bezogen auf Rollen – und Perspektivwechsel
Ich möchte nun zwei Methoden umschreiben, bei denen eigenverantwortliches Lernen angewandt wird.
Scaffolding
Die Bezeichnung „Scaffolding“ leitet sich von „Scaffold“ ab, was soviel wie Gerüst bedeutet und bereits ein anschauliches Bild der Methode liefert. Wie ein Gerüst unterstützt der Lehrende den Schüler um Aufgaben außerhalb seiner gegenwärtigen Fähigkeiten zu meistern. Hierbei ist es von größter Bedeutung, dass sobald Fortschritte festgestellt werden, die Intensität der Unterstützung schwindet, ähnlich dem Beispiel des Baugerüsts nach den Arbeiten an einem Gebäude.5 Aufbau von Wissen ist gleichzusetzen mit dem Aufbau von Konstrukten. Der Schüler braucht die Möglichkeit, Konstrukte aufbauen zu können. Der Einsatz von gezielten Reizen ist eine effektive Methode hierbei. Hierzu ein Beispiel aus dem Bereich elektrische Messtechnik:
Der Dozent lehrt uns die elementare Matrix des Stoffs. Kurz und schematisch wird ein Versuch (Messeinheit) durchgesprochen. Jetzt können die Schaltungen deklarativ aufgegliedert und deren Elemente berechnet werden. Wie z.B.: der Gesamtwiderstand, Kurzschluss-Strom, Leerlauf- spannung, Laststrom und Quellen- Innenwiderstand. Für die Messtechnik interessant sind die prozeduralen Messverfahren. Die so ausgerechneten Spannungen und Widerstände können nun als Vergleichs- Indizien dienen für die Messung dieser Werte. Der gesamte Messvorgang, inklusive theoretischer Problemerkennung wird protokolliert. Die gewonnenen Erfahrungen, verbunden mit dem theoretischen Wissen sind für das Verständnis und die spätere Anwendung von Vorteil.
Anchored Instruction
Anchored Instruction setzt am Problem des “trägen Wissens” und am Konzept des “situierten Lernens” an. Dabei geht es einerseits um „die Schwierigkeiten der Lernenden, konstruiertes Wissen alltagsfähig werden zu lassen und in veränderten Anforderungssituationen nutzbar zu machen. Die Team- und Kooperationsfähigkeit der Lernenden soll hierbei ebenso gefördert werden.
Eine ansprechende Basis, in Form einer Geschichte wird kreiert, welche Interesse erzeugt, den Lernenden die Identifizierung und Definition von Problemen erlaubt, sowie die Aufmerksamkeit auf das Wahrnehmen und Verstehen dieser Probleme lenkt. Der Lernende wird durch die erzählende Darbietungsform in die Geschichte verwickelt, so dass er selbst
Lernprozesse initiiert, versucht auftretende Probleme zu entdecken und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Hierzu ein Beispiel im Bereich Mathematik- und naturwissenschaftlichen Unterricht der 5. und 6.Klasse: Die Abenteuer von Jasper Woodbury. Diese Geschichten haben jeweils eine Länge von 15 bis 20 Minuten. Am Ende jedes Films steht Jasper bzw. eine Gruppe vor einer zu bewältigenden Aufgabe. Hier brechen die Filme ab und die Lernenden haben nun die Aufgabe, das jeweilige Problem zu entdecken und Lösungen zu erarbeiten. Die Informationen, die sie für die Problemdefinition und Problemlösung brauchen, sind alle unauffällig in die Story eingebettet (http://www.is.informatik.uni-duisburg.de/wiki/index.php/Storis:Scaffolding).
Bild: Schattenhofer, K., Selbstorganisation und Gruppen, Opladen 1992, S.19
Die Methoden „Scaffolding“ und „Anchored Instruction“ bieten hohe Erfolgschancen, fordern aber im Vorfeld auch sehr hohe organisatorische Ansprüche.
Scaffolding:
- Äußerst zeitaufwendig
- Ausreichendes Personal ist notwendig
- Inadäquate Modellierung der gewünschten Verhaltensweisen, Strategien oder Aktivitäten aufgrund unvollständiger Berücksichtigung der Interessen, Bedürfnisse und Fähigkeiten des Studenten
- Volle Vorteilsnutzung nur durch richtig ausgebildete Lehrer
- Lehrer muss Kontrolle im Prozess des “Fadings” abgeben
Vorteile
- Möglicher früher Indikator von Begabung
- Liefert individuelle Weisung
- Größere Sicherheit des Schülers, die gewünschte Fähigkeit oder das Wissen zu erlangen
- Liefert Effizienz aufgrund gründlicher Vorbereitung der Weisungen
- Bezieht den Lehrer mit ein
- Motiviert den Schüler zu lernen
Anchored Instruction
- Sehr aufwendig in den Punkten: Gestaltung und Einbettung von Wissen
- Leistungsüberprüfung kompliziert, da die individuelle Aufnahme sehr unterschiedlich ausfällt
- Anwendung ist bei größeren Stoffmengen unökonomisch und sehr zeitintensiv
- Bei fehlenden Grundwissen nur bedingt nutzbar
Vorteile
- Gibt gute Anregungen für eine motivierende und anwendungsorientierte Unterrichtsgestaltung
- Ermöglicht spannende und abwechselungsreiche Lernerlebnisse
Erkenntnisse
Im Kopf ist immer viel los. Nenne man es Synapsenknüpfung (physischer Prozess), oder Konstruktbildung (psychischer Prozess). Die oben gestellte Aussage „Erwachsene Lerner sind lernfähig, jedoch unbelehrbar“ erläutert sich gewisser maßen selbsttätig. Der Unterschied zwischen Erwachsenenbildung und Primär, bzw. Sekundarschule setzt sich wie folgt zusammen.
Kinder bauen Wissen auf
Konstrukte bilden und verknüpfen sich. Ähnlich wie sich Synapsen verknüpfen und sich logische Schlüsse bilden -> Erfahrung
Erwachsene erweitern Basiswissen
Konstrukte existieren und sind teilweise „gesättigt“. Bei älteren Menschen lässt sich dieser Vorgang perfekt beschreiben: es fehlt ihnen zunehmend der Antrieb, sich neues Wissen anzueignen -> „sie wissen ja bereits alles“ bzw. Konstrukte sind voll mit Erfahrungsbeispielen, Erinnerungen und Verknüpfungen
Um nachhaltige Erwachsenenbildung zu schaffen, bedarf es deshalb angepasster Lernumgebungen und angepasster Methoden. Durch den Einsatz von gezielten Reizen, oder anders ausgedrückt, durch angepasste Lehrmethoden kann dem Lernenden die Plattform geschaffen werden, bestehende Konstrukte anzupassen. Übermittelter Stoff kann selektiert werden und in bestehende Systeme assimiliert werden. Wichtiges wird von unwichtigen getrennt, motivationales Lernen entsteht.